Vier Unternehmen aus der Immobilien- und Energiebranche wollen mit dem „Energy Flat Living“-Modell Pauschalmietpreise inklusive Energie- und Nebenkosten von 12,50 Euro je Quadratmeter in Großstädten realisieren ++ Bauen ohne staatliche Förderung ++ Eckpfeiler des Konzeptes: Günstiger Solarstrom für Strom- und Wärmeversorgung, konsequente Enttechnisierung, serielles Bauen, Verzicht auf Tiefgarage und Keller sowie Finanzierung über ESG-Bonds
Bezahlbaren Wohnraum in deutschen Großstädten zu schaffen: Das hat sich ein privatwirtschaftliches Netzwerk zum Ziel gesetzt, zu dem unter anderem das über 100 Jahre alte Immobilienunternehmen Rohrer Immobilien GmbH aus München sowie das Berliner Bauunternehmen Nane Bau GmbH gehören. Der Dreh- und Angelpunkt, mit dem sie ohne staatliche Förderung Pauschalmietpreise von 12,50 Euro je Quadratmeter inklusive der Energie- und Nebenkosten realisieren wollen, ist die Wärme- und Stromversorgung in den Mehrfamilienhäusern. Indem über 50 Prozent des elektrischen und thermischen Energiebedarfs mit großen Photovoltaikanlagen gedeckt werden und elektrische Infrarotheizungen ganz ohne aufwändige Verrohrung kostensparend für Wärme sorgen, reduzieren sie wesentliche Kostenblöcke des Baus und der laufenden Kosten. Dieses Know-how bringen der Energieexperte Prof. Dipl.-Ing Timo Leukefeld und das Kompetenzzentrum 3lectrify der Sauerlacher Moonich in das Netzwerk ein. Dazu kommen weitere Sparfaktoren wie serielles Bauen mit vorgefertigten Elementen sowie der Verzicht auf Tiefgarage und Keller. Essenziell ist weiterhin die Finanzierung der Bauprojekte über ESG-Bonds, für die sie qualifizieren.
Gemeinsam appellieren die vier visionären Unternehmen an Eigentümer von erschlossenen, baureifen Grundstücken, diese gegen ein Nutzungsentgelt im Rahmen eines Erbpacht-Vertrages zur Verfügung zu stellen. Dies ist die Voraussetzung dafür, das „Energy Flat Living“-Modell in die Realität umzusetzen. Dabei denkt das Netzwerk an Bund, Länder, Städte und Gemeinden, aber auch an Kirchen, Unternehmen und private Eigentümer von Grundstücken.
Auf einer Veranstaltung im Juni 2025 bei 3lectrify haben die Kooperationspartner ihr Modell erstmals vor Fachleuten aus der Politik und Wirtschaft vorgestellt. Im Fokus stehen Wohnungen für Haushalte mit mittlerem Einkommen in Großstädten. Das anfängliche Ziel sind 1.000 Wohnungen mit diesem Konzept in Bayern, das mittelfristige Ziel sind 10.000 Wohnungen und langfristig 100.000 Wohnungen in deutschen Metropolen.
Ein Weg aus der Wohnungsnot
Wie dramatisch die Wohnsituation für Mieter:innen ist, zeigt das Beispiel München. Der durchschnittliche Kalt-Mietpreis liegt aktuell laut Mietspiegel München bei rund 20 Euro je Quadratmeter, Tendenz steigend. Es fehlen rund 80.000 Wohnungen, gleichzeitig wird die Einwohnerzahl Schätzungen zufolge von derzeit 1,6 auf über 1,8 Millionen im Jahr 2040 steigen.
„Wir wollen einen Weg aus der Wohnungsnot aufzeigen, aber dafür müssen alle mitspielen“, sagte Lars Keussen, Gründer des Kompetenzzentrums 3lectrify, und appelliert an die Eigentümer von ungenutzten Grundstücken. „Sie können eine gesellschaftlich notwendige Aufgabe erfüllen, indem sie mit der Verpachtung ihrer Grundstücke die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum ermöglichen.“ Dabei gehen sie kein Risiko ein, sondern verdienen jahrzehntelang sicher durch das Modell.
Erprobtes Energiekonzept für hochgradig energieunabhängige Gebäude
Das solare Bau- und Energiekonzept, das dem Energy Flat Living-Modell zugrunde liegt, ist erprobt. Seit dem Jahr 2018 hat Prof. Dipl.-Ing. Timo Leukefeld Energiekonzepte für hochgradig energieunabhängige Gebäude mit rund 1.200 Wohnungen geplant, davon etwa 900 mit Photovoltaikanlagen, Batteriespeichersystemen, Infrarotheizungen und dezentralen Autarkieboilern. In den neuen und sanierten Gebäuden zahlen die Mieter:innen Pauschalmietpreise inklusiv Strom- und Wärmekosten (Heizung und Warmwasser) zwischen circa 11,50 und 14,50 Euro je Quadratmeter. Diese werden durch die niedrigen und weiter sinkenden Gestehungskosten für selbst erzeugten Solarstrom ermöglicht. In der Regel werden die Pauschalmietpreise zunächst für fünf Jahre vereinbart.
Durch die Pauschalmiete brauchen die Vermieter keine Nebenkostenabrechnung mehr zu erstellen, auch das Ablesen der Verbrauchszähler in den Wohnungen ist nicht mehr nötig. Damit entfallen zwei wesentliche Kostenfaktoren in den laufenden Verwaltungskosten. Voraussetzung für die Pauschalmiete ist, dass mindestens 50 Prozent des Energiebedarfs solar gedeckt werden. „Dann fällt das Gebäude aus der Heizkostenverordnung“, erklärt Timo Leukefeld. Weiterhin ist die Enttechnisierung der Heiztechnik zentral: Statt der üblichen Heizungen mit wasserführender Wärmeverteilung werden Infrarotheizgeräte installiert, die sich durch niedrigere Anschaffungs- und Folgekosten auszeichnen und deren Leitungen nur in die ohnehin vorhandenen Steckdosen eingesteckt werden müssen. „Kabel statt Rohre“ nennt Leukefeld dieses Prinzip. Auch durch die garantierte 30-jährige Lebensdauer für die im Konzept eingesetzten Infrarotheizungen sowie ihre Wartungsfreiheit werden Kosten eingespart.
Lars Keussen wies auf den präsenzorientierten Betrieb von Infrarotheizungen hin. Sie laufen vor allem dann, wenn Personen im Raum sind und Wärme benötigen. Geregelt werden die Heizgeräte durch Thermostate. Durch die sehr gute Gebäudehülle – aktuell mit Effizienzhaus-Standard KfW 40 – ist der Heizenergiebedarf sehr niedrig, was einfache und kostengünstige Heizsysteme begünstigt. Für die Warmwasserbereitung werden dezentrale Autarkie-Boiler eingeplant, die bevorzugt Solarstrom nutzen.
Voraussetzungen für die Umsetzung
Sven Keussen, geschäftsführender Gesellschafter der Rohrer Immobilien GmbH, erläuterte die Voraussetzungen für die Umsetzung des Energy Flat Living-Modells, das auf sozialer Fairness und nachhaltiger Bauweise basiert. Grundstückseigentümer können ihren Grund beispielsweise mit einer 99-jährigen Erbpacht zur Verfügung stellen und bleiben so Eigentümer. Sie könnten zwischen 1 und 1,50 Euro je Quadratmeter und Monat erhalten.
„Wichtig ist, dass das Grundstück vollständig erschlossen ist“, betonte Sven Keussen. So sollte beispielsweise der Anschluss an Wasser, Strom und Abwasser vorhanden sein. Um einen schnellen Baustart zu ermöglichen, ist das Grundstück „baureif“. Wenn alle nötigen Genehmigungen vorliegen, entfällt die Wartezeit für Genehmigungen. Weiterhin sollte der Baustart rechtlich geklärt sein, um Abstimmungsprozesse zu vermeiden. Zudem sollte eine Befreiung von der Tiefgaragen-Pflicht vorhanden sein. Im Idealfall ist es möglich, mit Pultdach zu bauen, um viel Fläche für die Solarstrommodule zu schaffen.
Finanzierung über ESG-Anleihen
Alan Luksic, Gesellschafter bei der Nane Bau GmbH, erläuterte die Finanzierung und Rentabilität eines Energy Flat Living-Bauprojektes. Dabei schilderte er zunächst, weshalb die Finanzierung über ESG-Bonds (Environmental, Social and Governance Bonds) erfolgen soll. Diese Anleihen werden für Projekte emittiert, die Ziele der 17 Sustainable Development Goals (SDG) der United Nations erfüllen. Energy Flat Living erfüllt mehrere davon: zum Beispiel stabilen Wohnraum zu schaffen, innovative Wohn- und Energiekonzepte für nachhaltige Stadtentwicklung zu entwickeln sowie durch energieeffiziente, fossilfreie Gebäude CO2-Emissionen zu reduzieren.
Wenn ein 1.500 Quadratmeter großes Grundstück unter den oben genannten Voraussetzungen bebaut werden kann, könnte ein Mehrfamilienhaus mit 15 bis 20 Wohnungen mit jeweils rund 70 Quadratmeter Wohnfläche in circa 12 Monaten ab Baubeginn errichtet werden. Mit Verzicht auf eine Tiefgarage und einen Keller, die teuren Tiefbau erfordern, könnte sich die Gesamtinvestition ohne staatliche Förderung auf rund 2,1 Millionen Euro für 15 Wohnungen belaufen, so Luksic.
„Vielleicht müssen Hürden wie die Stellplatzpflicht und die Vorgabe, mit Satteldach zu bauen, überwunden werden. Aber der Punkt ist eben, dass alle sich bewegen müssen“, sagt Lars Keussen zusammenfassend. „Es muss der gemeinsame Wille von allen Beteiligten vorhanden sein, um bezahlbaren Wohnraum in Metropolen zu schaffen.“ Dies können zum Beispiel Kommunen mit Programmen für Einheimische sein, aber auch Kirchen, die einen sozialen Auftrag erfüllen wollen, oder Unternehmen, die Wohnungen als Incentives für ihre Mitarbeiter schaffen wollen.
Foto: Fragerunde nach den Vorträgen (v.l.n.r.):
Alan Luksic, Gesellschafter bei der Nane Bau GmbH
Sven Keussen, geschäftsführender Gesellschafter der Rohrer Immobilien GmbH
Lars Keussen, Gründer des Kompetenzzentrums 3lectrify
Energieexperte Prof. Dipl.-Ing. Timo Leukefeld, Timo Leukefeld GmbH